Die Entscheidung des EuGH in Sachen E-Turas vom 21. Januar 2016 (C-74/14) verdeutlicht einmal mehr, dass es keines direkten Kontaktes mit Wettbewerbern bedarf, um als Teilnehmer eines bußgeldbewehrten Kartellverstoßes zu gelten. Unternehmen, die davon ausgehen, dass sie bereits mangels direktem Kontakt mit Wettbewerbern keinem Risiko ausgesetzt sind, springen in ihren kartellrechtlichen Compliance-Bemühungen deutlich zu kurz.

Worum geht es?

Eturas betreibt ein Online-Reisebuchungssystem in Litauen. Dieses ermöglicht es Reisebüros, Reisen über ihre Website in einer einheitlichen von Eturas festgelegten Buchungsform anzubieten. Die Gestaltung der Preise und Produkte obliegt den Reisebüros. Gleichwohl forderte Eturas über den systeminternen Messenger die angeschlossenen Reisebüros auf, den Rabatt für Onlinebuchungen auf höchstens 3% zu begrenzen. Ob die Reisebüros diese Mitteilung tatsächlich auch zur Kenntnis genommen haben, ist streitig. Den Reisebüros war es zwar theoretisch weiterhin möglich, ihren Kunden auch einen höheren Rabatt als 3% einzuräumen. Allerdings hätte dies zusätzlicher technischer Formalitäten bedurft. Faktisch räumten die Reisebüros daher einen einheitlichen Rabattsatz von 3% ein.

Die litauische Wettbewerbsbehörde belegte daraufhin sowohl Eturas als auch die Reisebüros mit einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Verbot der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Hiergegen gingen die beteiligten Unternehmen gerichtlich vor.

Der Oberste Verwaltungsgerichtshof von Litauen legte dem EuGH zwei Fragen vor:

  • Ist es mit der Unschuldsvermutung vereinbar, davon auszugehen, dass die Reisebüros die von Eturas versendete Nachricht zu den Rabattobergrenzen zur Kenntnis genommen haben?

  • Ist der Gesamtvorgang in Form der Übersendung der Nachricht, Einrichtung weiterer technischer Formalitäten, um die Rabattobergrenzen auf über 3% zu erhöhen sowie die faktische Einhaltung der Obergrenzen durch die Reisebüros als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Art. 101 AEUV zu qualifizieren ist?

Wie hat das Gericht entschieden?

Laut dem EuGH streitet eine widerlegliche Vermutung dafür, dass die Reisebüros die versendete Nachricht von Eturas auch zur Kenntnis genommen haben. An die Widerlegung seien jedoch keine übertriebenen Anforderungen zu stellen.

Hinsichtlich der Frage, ob eine abgestimmte Verhaltensweise auch durch Passivität erfolgen kann, wiederholte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung und weist darauf hin, dass auch eine bloße passive Teilnahme an Sitzungen, bei denen wettbewerbswidrige Absprachen getroffen werden, zu einer Beteiligung an einem Kartellvergehen führen, wenn keine ausdrückliche Distanzierung durch das jeweilige Unternehmen erfolgt. Für den vorliegenden Fall konkretisierte der EuGH, dass eine abgestimmte Verhaltensweise eine Abstimmung zwischen den beteiligten Unternehmen, ein entsprechendes Marktverhalten sowie einen ursächlichen Zusammenhang voraussetze. Sofern es den Reisebüros im vorliegenden Fall nicht gelinge, die Kenntnisnahme der Mitteilung von Eturas zu widerlegen, könne von einer abgestimmten Verhaltensweise ausgegangen werden. Denn bei der Anpassung der Rabatte auf 3% handle es sich um das Marktverhalten, welches ursächlich auf die Kenntnisnahme der E-Mail zurückzuführen sei. Die Reisebüros hätten sich daher zur Vermeidung des Vorwurfs einer abgestimmten Verhaltensweise im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV entweder öffentlich vom Inhalt der Nachricht distanzieren oder die Behörden hierüber unterrichten müssen bzw. ein Marktverhalten an den Tag legen müssen, welches eine deutliche Abkehr von der Obergrenze in Höhe von 3% belegt hätte.

Was sind die Folgen in der Praxis?

Das Urteil unterstreicht einmal mehr, dass sich Unternehmen und handelnde Personen in kartellrechtlich problematischen Situationen niemals durch reine Passivität von der Teilnahme an einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise lossagen können. Weiterhin wird deutlich, dass auch ein mittelbarer Kontakt über einen Dritten, der auf einem anderen Markt tätig ist, genügen kann, um ein Kartellvergehen zu begründen. Die Gefahr, mit einer empfindlichen Geldbuße belegt zu werden, trifft dabei auch den Dienstleister. Folglich muss in der Unternehmenspraxis auch abseits unmittelbarer Kontakte mit dem Wettbewerber darauf geachtet werden, dass es nicht zu Abstimmungen über Bande kommt. Diesbezüglich ist über Schulungen und schriftliche Unterrichtungen die notwendige Sensibilisierung der Unternehmensvertreter herzustellen.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Unternehmen in allen Fragen des Kartellrechts.