Merksätze: Der Bieter, der als Kartellteilnehmer mit dem Kartellamt umfassend zusammengearbeitet hatte und personelle und organisatorische Selbstreinigungsmaßnahmen umgesetzt hat, muss gleichwohl mit dem Auftraggeber zusammenarbeiten, damit dieser die vergaberechtliche Zuverlässigkeit prüfen kann. Der Bieter kann nicht auf die Zusammenarbeit mit der Kartellbehörde verweisen. Europarechtliche Bedenken gegen eine solche Regelung bestehen nicht. Die Frist für den höchstzulässigen Ausschluss eines Bieter rechnet nicht ab dem Datum des Rechtsverstoßes, der einen Ausschlussgrund begründet, sondern aber dem Datum der Behördenentscheidung.
Entscheidung:
Die Beklagte schrieb Gleisoberbaumaterialien aus. Die Klägerin stellt solche Materialien her. Sie hatte sich bis 2011 am „Schienenkartell“ beteiligt und im März 2016 einen Bußgeldbescheid erhalten, bei dessen Erlass das BKartA eine Bonusregelung anwandte, um die Zusammenarbeit der Klägerin bei der Aufklärung ihres Verhaltens zu würdigen. Die Klägerin gab ein Angebot an der Ausschreibung der Beklagten ab, die wegen der Kartellbeteiligung der Klägerin schriftlich Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit äußerte. Die Klägerin erläuterte schriftlich die getroffenen organisatorischen und personellen Selbstreinigungsmaßnahmen. Sie erklärte sich zudem zum Ausgleich des durch den Kartellverstoß erlittenen Schadens bereit. Den gegen sie ergangenen Bußgeldbescheid übersandte die Klägerin der Beklagten nicht. Die Klägerin wurde vom Vergabeverfahren ausgeschlossen und wandte im Nachprüfungsverfahren vor der VK Südbayern ein, Art. 57 VI der RL 2014/24 sehe nur die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden, nicht aber mit dem öffentlichen Auftraggeber vor. Zudem sei der Ausschluss von dem Vergabeverfahren nach § 126 Nr. 2 GWB nur für die drei Jahre statthaft, die auf den einen Ausschlussgrund begründenden Sachverhalt folgten.
Dass die Vergabekammer vorlageberechtigt, nämlich ein Gericht im funktionellen Sinn ist, ist seit dem Urteil „Dorsch Consult“ des EuGH klar (EuGH, Rs. 54/96, EuZW 1997, 625 – Dorsch Consult, für die früheren Vergabeüberwachungsausschüsse, EuGH 110-147/98, Slg. 2000, I-1577 – Gabalfrisa, s.a. Just, in: Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, § 105 Rn. 2, 8 zu § 105 GWB a.F.), auch wenn die VK Teil der Verwaltung ist und durch Verwaltungsakt entscheidet, § 168 III GWB. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass § 125 Nr. 2 GWB fordert, dass der Bieter „die Tatsachen und Umstände, die mit dem Fehlverhalten und dem verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat“. Darauf berief sich die Beklagte: Die Klägerin habe mit ihr nicht umfassend zusammengearbeitet.
Der EuGH entschied im Sinn der Beklagten und bestätigte den Ausschluss der Klägerin. Der EuGH unterstreicht die unterschiedlichen Funktionen von Ermittlungsbehörden und öffentlichem Auftraggeber. Anders als die Ermittlungsbehörde muss dieser prognostisch die Risiken wägen, die er unter Umständen eingeht, wenn ein Auftrag an einen Bieter mit gegebenenfalls zweifelhafter Integrität vergeben wird. Daher müsse der Bieter auch mit dem öffentlichen Auftraggeber zumindest bei den Maßnahmen zusammen arbeiten, die unbedingt erforderlich sind, um die vergaberechtliche Zuverlässigkeit zu beurteilen.
Der Unternehmer hat nach Art. 57 IV lit. a der RL 2014/24/EU „auf geeignete Weise“ nachzuweisen, dass er die Tatsachen und Umstände bezüglich des Kartells, an dem er beteiligt war, umfassend durch aktive Zusammenarbeit mit der zuständigen Ermittlungsbehörde geklärt hat. Dazu genügt grundsätzlich die Übermittlung der Entscheidung der Ermittlungsbehörde, mit der der Verstoß gegen Wettbewerbsregeln und die Anwendung der Bonusregelung festgestellt sind. Im konkreten Fall hat das dann das mitgliedstaatliche Gericht zu entscheiden. Die Anwendung einer Bonusregelung und eine Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden im Kartellverfahren befreit aber nicht, in einem Vergabeverfahren mit dem öffentlichen Auftraggeber ebenfalls umfassend zusammen zu arbeiten.
Zur Fristberechnung führt der EuGH aus, dass die RL weder zur Art des „betreffenden Ereignisses“ noch zum Zeitpunkt des Eintritts Regelungen trifft. Da es aber zu Art. 57 I der RL 2014/4/EU auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung ankommt, sei aus Gründen der Kohärenz der Regelungen und aus Gründen der Vorhersehbarkeit und des Rechtsfriedens auch für Art. 57 VII auf das Datum der behördlichen Ahndungsentscheidung abzustellen. Maßgeblich ist damit nicht die Dauer der Kartellbeteiligung.
Hinweise: Die Entscheidung ist zum Teil knapp begründet, aber nachvollziehbar. Da sich die Kartellbeteiligung über einen längeren Zeitpunkt erstreckt und gegebenenfalls der Endzeitpunkt nicht eindeutig ist, ist das Datum der Behördenentscheidung ein geeigneter zeitlicher Anknüpfungspunkt, der zudem vermeidet, dass eine rechtliche Sperrwirkung mangels Kenntnis der Behörden ausbleibt. Misslich aus Bietersicht ist, eine Entscheidung vorlegen zu müssen, die Grundlage einer Schadenersatzklage werden kann. Die Entscheidung gibt einige Orientierungspunkte zur spannenden Frage, wie sich umgesetzte Compliance-Maßnahmen auswirken und welche sonstigen Maßnahmen zur Wiederherstellung der „Zuverlässigkeit“ nötig sind. Auch wenn es dieses Merkmal seit dem VergRModG 2016 nicht mehr gibt, sind sie für die Anwendung der Ausschlussgründe und der Selbstreinigungsregeln wertvoll.
Christoph Just LL.M. ist Partner unserer Sozietät in Frankfurt am Main und Fachanwalt für Steuer- und Verwaltungsrecht. Seine Praxis fokussiert sich auf Prozessführung (staatliche und Schiedsgerichtsbarkeit) wie auch auf regulatory (Umwelt, Energie, Vergabe).