An unserem Kartellrechts-Newsflash Mai 2019 hat unser wissenschaftlicher Mitarbeiter, Herr Dominik Radzivilovskij erheblich mitgewirkt.
Verzockt! - Kommission richtet Beschwerdepunkte an die Valve Corporation und fünf Videospielverlage wegen Unterbindung grenzüberschreitender Verkäufe von Videospielen
Die Kommission hat Beschwerdepunkte an die Valve Corporation, den Betreiber der weltweit größten PC-Videospielvertriebsplattform „Steam“, und fünf weitere Videospielverlage gerichtet. In der Sache äußerte die Kommission Bedenken darüber, dass Valve und die fünf Publisher sich darauf einigten, geoblockierte Produktschlüssel zu verwenden, um grenzüberschreitende Verkäufe zu verhindern. Mit den „Produktschlüsseln“ sind sogenannte Keys gemeint - Codes, mit denen mitunter auch auf Datenträgern gekaufte Spiele zur Nutzung auf Steam aktiviert werden müssen. Durch das „Geoblocking“ verhindert die Plattform, dass der Käufer das Spiel auch in einem anderen EU- Mitgliedsstaat erwerben kann. Dadurch bleibt es dem Nutzer verwehrt, die Vorteile des Binnenmarktes in Anspruch zu nehmen - namentlich Produkte unabhängig vom eigenen Wohnsitz grenzüberschreitend nach dem attraktivsten Angebot zu wählen.
Eine entscheidende Rolle spielt in diesem Fall die Geoblocking-VO. Nach dieser Verordnung ist es Anbietern, unabhängig von einer marktbeherrschenden Stellung oder einer Koordinierung mit anderen Unternehmen, grundsätzlich verboten, Kunden den Zugang zu ihrer Online-Benutzeroberfläche, einschließlich Internetseite, aus Gründen des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden zu sperren oder, etwa durch Umleiten der Kunden auf eine andere, für ihr Wohnsitzland bestimmte Benutzeroberfläche, zu beschränken. Zwar muss ein Verstoß gegen die VO nicht zwangsläufig in einer Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot resultieren. Immerhin sind auch einseitige Maßnahmen denkbar, die die Geoblocking-VO tangieren, jedoch das Kartellverbot (mangels Verhaltenskoordinierung) unberührt lassen. Allerdings wird ein bilateraler Verstoß gegen die VO wohl zwangsläufig eine Beschränkung des Wettbewerbs bedeuten, die wiederum das Kartellverbot berührt. Verordnungen, die dazu bestimmt sind den e-commerce zu regeln, könnten auch in Zukunft für den Begriff der Wettbewerbsbeschränkung tragend sein, oder zumindest zur Auslegung herangezogen werden können.
Fazit: Im Ergebnis handelt es sich um eine unzulässige Gebietsaufteilung, die durch die Beschränkung des passiven Verkaufs der Software erzielt wird. In jüngerer Zeit hat die EU-Kommission vertikale Wettbewerbsbeschränkungen häufiger aufgegriffen. Zusätzlich verschärft nun die Geoblocking-VO den Rechtsrahmen bei grenzüberschreitenden Wettbewerbsbeschränkungen im Internet. Die jüngeren Entwicklungen zeigen, dass hier ein äußerst sensibler Bereich betroffen ist, den Unternehmen bei der Planung ihrer Vertriebsstruktur intensiv im Auge behalten müssen.
Dicke Luft – ein Fall für das Kartellrecht?
Nach vorläufiger Auffassung der Kommission haben sich BMW, Daimler und VW unter Verstoß gegen die EU-Wettbewerbsregeln an einer Absprache beteiligt, um die Entwicklung und Einführung von Technologien zur Emissionsreinigung für neue Diesel- und Benzin-Pkw, die im Europäischen Wirtschaftsraum verkauft werden, zu begrenzen. Diese Absprachen fanden im Rahmen der so genannten „Circle of Five“-Techniksitzungen der Automobilhersteller statt. Die Kommission ist der vorläufigen Auffassung, dass das Verhalten der Automobilhersteller den Innovationswettbewerb für diese beiden Emissionsminderungssysteme einschränkte und den Verbrauchern die Möglichkeit verwehrt haben soll, umweltfreundlichere Autos zu kaufen, obwohl den Herstellern die Technologie zur Verfügung gestanden hätte. Ob und inwieweit hier eine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung vorlag, wird jetzt eingehender untersucht werden.
Der VW-Abgasskandal hat bereits zu zahlreichen zivilrechtlichen Entscheidungen geführt, die sich in erster Linie mit kaufrechtlichen Schadensersatzansprüchen und Rücktrittsrechten bezüglich der in die Kraftfahrzeuge integrierten Software befassten. Zuletzt berichtete die Legal Times, dass nunmehr ein Richter am LG Stuttgart wegen Befangenheit abgelehnt wurde, weil auch seine Frau Klägerin in einem Parallelverfahren gewesen sei.
Fazit: Während Kooperationen mit dem Ziel der Förderung innovativer Technologien insbesondere für eine Gruppenfreistellung in Betracht kommen oder über eine Einzelfallfreistellung freigestellt sein können, fällt der umgekehrte Sachverhalt, das kollusive Zusammenwirken zur Verhinderung von Innovationen, klar unter das Kartellverbot. Nicht nur bei den „Großen“ müssen Möglichkeiten und Grenzen, die das Kartellrechts technologiefokussierter Zusammenarbeit setzt beachtet werden. Gerade für mittelständische Unternehmen sind Forschungs- und Produktionskooperationen interessant. Hier kann durch frühzeitige Beratung mancher Ärger mit geringem Aufwand vermieden werden.
Alles neu….(?) – Kommission überarbeitet Vertikal-GVO
Das Vertriebskartellrecht spielt gerade im Zeitalter des E-Commerce eine überragend wichtige Rolle. Wer seinen Vertriebsweg rechtlich sorgfältig planen möchte, kommt selten um kartellrechtliche Grenzen der Vertriebsstrukturen herum. Maßgeblich ist in diesem Bereich die Vertikal-GVO, die mit Ausnahme einiger Kernbeschränkungen und Wettbewerbsverbote grundsätzlich einen breiten Spielraum für eine wirtschaftlich sinnvolle und wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Vertriebsplanung lässt. Die EU-Kommission führt eine öffentliche Konsultation zur Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen durch. Die Konsultation ist Teil der im Oktober 2018 begonnenen Evaluierung der Vertikal-GVO. Wissenschaft, Unternehmen und Beratungspraxis sind gleichermaßen aufgerufen, Stellung zu beziehen.
Inwiefern die Entwicklungen seit der letzten Überarbeitung, nicht zuletzt darunter die Coty- Entscheidung des EuGH aufgegriffen werden, bleibt abzuwarten. Der EuGH hatte sich eingehend mit der Rechtmäßigkeit eines Drittplattformverbots (etwa für den Verkauf auf Amazon oder Ebay), und der Bedeutung des „Luxusimages“ einer Ware befasst. Darüber, ob für Drittplattformverbote ein weiter Spielraum besteht, oder ob sich die Rechtsprechung lediglich auf besondere Luxusprodukte bezieht, kann weiter lebhaft gestritten werden. Auch die Behandlung von Bestpreisklauseln und die Herausforderungen und Bedingungen des E-Commerce könnten Anlass zu Anpassungen geben.
Fazit: Die Anpassung der Vertikal-GVO gibt der EU-Kommission Gelegenheit, die umfassenden gesammelten Erfahrungen aus der Vergangenheit einerseits und die aktuellen Sorgen und Nöte der Marktteilnehmer andererseits zum Anlass für eine (angemessene) Neujustierung zu nehmen. Angesichts der extrem hohen praktischen Bedeutung der GVO und der zugehörigen Leitlinien dürfte die Kommission allerdings auch der Rechtssicherheit verpflichtet sein, da selbst kleinere Anpassungen schnell große Auswirkungen auf bisher freigestellte Vertriebssysteme haben könnten.
Schienen-Schelte – OLG Düsseldorf zum Einsatz des Tatbestandsberichtigungsantrags
Das OLG Düsseldorf hat sich in einem jüngst veröffentlichten Beschluss (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05. März 2019 – U (Kart) 17/17 –, juris) im Verfahren um das sogenannte „Schienenkartell“ in deutlichen Worten gegen den Versuch der Nutzung von Tatbestandsberichtigungsanträgen zur „Entscheidungskosmetik“ positioniert.
Das hier als „Entscheidungskosmetik“ bezeichnete Vorgehen erfreut sich nach Kenntnis des Autors gerade auch in Kartell-Schadensersatzprozessen großer Beliebtheit. Kaum eine erstinstanzliche Entscheidung scheint zu ergehen, ohne dass der Versuch unternommen wird, im Wege des Tatbestandsberichtigungsantrags dafür zu sorgen, dass die (angebliche) Beteiligung des eigenen Mandanten an einem (angeblichen) Kartell nicht in ganz so düsteren Worten dargestellt wird.
Konkret ging es – nach den Ausführungen in dem hier besprochenen Beschluss – unter anderem darum, dass die Antragsteller gerne als „Kartelltäter“ bezeichnete Person(en) bevorzugt als „beteiligte(n) Person(en)“ oder zumindest nur als „bebußte[s] Unternehmen“ bezeichnet gesehen hätten.
Dem erteilte das OLG Düsseldorf in deutlichen Worten eine Absage: „Dass es sich bei diesem Begehren ganz offensichtlich nicht um ein solches handelt, das zulässigerweise im Rahmen eines Tatbestandsberichtigungsverfahrens nach § 320 ZPO verfolgt werden kann, bedarf zwar keiner Erörterung. Bedenken begegnet das - von ihren Prozessbevollmächtigten als Organen der Rechtspflege (§ 1 BRAO) unterstützte - Begehren der Beklagten zu 3. aber insoweit, als es ein grundlegendes Fehlverständnis dieser Partei davon verrät, welche Schwere das Unrecht aufweist, das die Beklagte zu 3. und ihre Mitkartellanten durch den von ihnen verwirklichten Kartellverstoß begangen haben.“
Fazit: Die anwaltliche Beratung hat bereits eigene Spezialisierungen im Bereich des „Handlings“ von Medien während laufender Verfahren hervorgebracht, deren zentrale Aufgabe darin besteht, die Außendarstellung nach Möglichkeit zu kontrollieren. Daneben kann, besonders mit Blick auf die nächste Instanz, ein berechtigtes Interesse daran bestehen, tatsächlich unzutreffende Darstellung des Parteivortrags in gerichtlichen Entscheidungen (noch) zu korrigieren. Allerdings stellt die ZPO für das erstgenannte Anliegen nicht denselben „Werkzeugkasten“ zur Verfügung, wie für das zweitgenannte. Der Beschluss zeigt, dass gerade auch beim Tatbestandsberichtigungsantrag nicht vom richtigen Gleis abgekommen werden sollte.