Der kürzlich veröffentlichte Referentenentwurf sieht die Einführung eines Transaktionsgrößentests vor. Der Anwendungsbereich der deutschen Fusionskontrolle wird dadurch erweitert. Künftig muss bei Transaktionen ab einem Transaktionswert von über EUR 350 Mio. eine Anmeldepflicht beim Bundeskartellamt selbst dann geprüft werden, wenn die Inlandsumsatzschwellen des GWB nicht erreicht werden.

Was sich konkret ändern wird.

Der Referentenentwurf sieht eine wesentliche Änderung der formellen Fusionskontrolle vor, d.h. der Anforderungen, die über die Anmeldung einer Transaktion zur Zusammenschlusskontrolle beim Bundeskartellamt entscheiden.

Bislang ist dieser Anwendungsbereich in der deutschen Fusionskontrolle nur dann eröffnet, wenn die beteiligten Unternehmen (d.h. grundsätzlich Erwerber und Zielunternehmen) bestimmte internationale und nationale Umsatzschwellen erreichen. Konkret müssen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss folgende Umsätze erreicht werden:

  • Weltweit müssen die beteiligten Unternehmen (gemeinsam) mehr als EUR 500 Mio. umgesetzt haben,

  • Ein beteiligtes Unternehmen muss mehr als EUR 25 Mio. in Deutschland umgesetzt haben, und

  • Ein weiteres beteiligtes Unternehmen muss mehr als EUR 5 Mio. in Deutschland umgesetzt haben.

Bislang entfällt eine Anmeldepflicht in Deutschland daher insbesondere dann, wenn die sog. 2. Inlandsumsatzschwelle in Höhe von EUR 5 Mio. nicht erreicht wird. Sofern der Referentenentwurf entsprechend umgesetzt wird, ist zukünftig im Falle des Nichtüberschreitens der 2. Inlandsumsatzschwelle auf den Transaktionswert des Zusammenschlussvorhabens abzustellen. Beträgt dieser mehr als EUR 350 Mio. und ist das beteiligte Unternehmen, welches die 2. Inlandsumsatzschwelle nicht erreicht, (voraussichtlich) in Deutschland tätig, ist ein solcher Vorgang beim Bundeskartellamt anzumelden.

Damit wird der bislang rein umsatzbasierte Ansatz der deutschen Fusionskontrolle um einen Transaktionsgrößentest („size-of-transaction-test“) ergänzt. Der Begriff der „Gegenleistung für den Zusammenschluss“ ist denkbar weit und umfasst alle Vermögensgegenstände und sonstigen geldwerten Leistungen, die der Veräußerer vom Erwerber im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss erhält zuzüglich des Wertes etwaiger vom Erwerber übernommener Verbindlichkeiten (§ 38 Absatz 4a GWB n.F.).

Ausweislich des Referentenentwurfs wird § 35 GWB in Zukunft folgende Fassung haben (Änderungen hervorgehoben):

§ 35 Geltungsbereich der Zusammenschlusskontrolle

(1) Die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle finden Anwendung, wenn im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss

1. die beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Millionen Euro und

2. im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro und ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 5 Millionen Euro erzielt haben.

(1a) Die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle finden auch Anwendung, wenn

1. die Voraussetzungen von Absatz 1 Nummer 1 erfüllt sind,

2. mindestens ein beteiligtes Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss im Inland Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro, aber kein anderes beteiligtes Unternehmen im Inland Umsatzerlöse von mehr als 5 Millionen Euro erzielt hat,

3. der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 350 Millionen Euro beträgt und

4. mindestens eines der anderen Unternehmen nach Nummer 2 im Inland tätig ist oder voraussichtlich tätig werden wird.

(2) Absatz 1 gilt nicht, soweit sich ein Unternehmen, das nicht im Sinne des § 36 Absatz 2 abhängig ist und im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von weniger als 10 Millionen Euro erzielt hat, mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt, es sei denn, es liegt ein Fall des Absatzes 1a vor. Absatz 1 gilt auch nicht für Zusammenschlüsse durch die Zusammenlegung öffentlicher Einrichtungen und Betriebe, die mit einer kommunalen Gebietsreform einhergehen.

(3) Die Vorschriften dieses Gesetzes finden keine Anwendung, soweit die Europäische Kommission nach der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen in ihrer jeweils geltenden Fassung ausschließlich zuständig ist.

Hintergrund der Änderung.

Der deutsche Gesetzgeber will mit der Einführung des Transaktionsgrößentests darauf reagieren, dass im Bereich der Zusammenschlüsse auf digitalen Märkte bestimmte Transaktionen nicht erfasst werden, weil insbesondere die Zielunternehmen (noch) nicht die notwendigen nationalen Umsätze erreichen. Insoweit wird zumindest dann eine Regelungslücke vermutet, wenn für das Zielunternehmen sehr hohe Kaufsummen aufgewendet werden.

Präzedenzfall für den deutschen Gesetzgeber ist der Erwerb von Whatsapp durch Facebook für USD 19 Mrd. Trotz dieses erheblichen Kaufpreises erreichte Whatsapp weder in Deutschland noch in der EU die notwendigen lokalen Umsätze, um in den Anwendungsbereich der jeweiligen Fusionskontrollen zu fallen. Da allerdings die Fusionskontrolle in drei anderen EU-Mitgliedstaaten eröffnet war, konnte – eher zufällig – gleichwohl eine Verweisung zur Prüfung des Vorgangs an die Europäische Kommission erfolgen. Der Vorgang wurde mangels materiell-rechtlicher Bedenken freigegeben. Gleichwohl bestanden seitdem Überlegungen, die Erfassung solch großer Transaktionen nicht vom Zufall abhängig machen zu wollen.

Praktische Auswirkungen.

Der Referentenentwurf selbst geht davon aus, dass durch die modifizierten Umsatzschwellen allenfalls drei zusätzliche Anmeldungen zur Zusammenschlusskontrolle beim Bundeskartellamt pro Jahr anfallen werden, wovon aufgrund des digitalen Neulands im Schnitt ein Fall jährlich im Wege eines Hauptprüfverfahrens zu bearbeiten sein wird.

Auch wenn der Gesetzgeber durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs der deutschen Fusionskontrolle insbesondere die Übernahme von Start-ups im Digitalbereich im Blick hat, ist der Anwendungsbereich des neuen Transaktionsgrößentests keinesfalls auf diesen Sektor beschränkt. Auch außerhalb der digitalen Märkte müssen Unternehmen in Zukunft darauf achten, ob bei einer bestimmten Transaktionsgröße eine Anmeldepflicht ausgelöst wird.

Folglich wird durch die Novelle die beschränkende Wirkung der 2. Inlandsumsatzschwelle teilweise wieder zurückgedreht. Dadurch entstehen auch neue Fragen zur Inlandsauswirkungen bei Zusammenschlussvorhaben unter Beteiligung von lediglich zwei Parteien (Erwerber und Zielunternehmen), die zwischenzeitlich als gelöst galten. Denn bisher geht das Bundeskartellamt ausweislich seines Merkblatts zum Inlandsbezug von Zusammenschlussvorhaben davon aus, dass dieser bereits durch Erfüllung der beiden Inlandsumsatzschwellen hergestellt wird. Im Anwendungsbereich des neuen Transaktionsgrößentests kann hierauf nicht mehr abgestellt werden. Maßgeblich ist dann wohl alleine, dass das Unternehmen ohne (nennenswerte) Umsätze in Deutschland zumindest im Inland aktiv ist oder dies voraussichtlich sein wird.

Der Referentenentwurf muss noch durch den Gesetzgeber umgesetzt werden. Es ist zu erwarten, dass die 9. GWB-Novelle Anfang 2017 in Kraft tritt.


Dr. Kim Manuel Künstner berat Unternehmen in allen Fragen des Kartellrechts.