Mit der 9. GWB-Novelle, die am 9. Juni 2017 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber auch die Vorgaben zum Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis in § 20 Abs. 3 GWB verschärft. Bereits vor der Novelle war es Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht verboten, diese dadurch unbillig zu behindern, Lebensmittel unter Einstandspreis anzubieten. Bei anderen Waren oder gewerblichen Dienstleistungen ist das Anbieten unter Einstandspreis verboten, wenn es nicht nur gelegentlich geschieht.
Konkret hat der Gesetzgeber mit der Novelle in Satz 3 die folgende Definition des Einstandspreises neu aufgenommen:
„Einstandspreis im Sinne des Satzes 2 ist der zwischen dem Unternehmen mit überlegener Marktmacht und seinem Lieferanten vereinbarte Preis für die Beschaffung der Ware oder Leistung, auf den allgemein gewährte und im Zeitpunkt des Angebots bereits mit hinreichender Sicherheit feststehende Bezugsvergünstigungen anteilig angerechnet werden, soweit nicht für bestimmte Waren oder Leistungen ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist.“
Im Folgenden beantworten wir die wichtigsten Fragen zu diesem Thema:
Was versteht man allgemein unter dem Begriff „Einstandspreis“?
Allgemein bezeichnet man als Einstandspreis den Preis, den ein Unternehmen für den Bezug einer Ware zahlen muss, abzüglich der Preisabschläge (Rabatte, Skonti, Zuschüsse) und zuzüglich der Bezugsnebenkosten (z.B. Transport, Versandversicherungen, etc.).
Warum wird der Verkauf unter Einstandspreis überhaupt verboten?
Bei unbedarftem Blick stellt sich die Frage, warum man Händlern überhaupt verbieten sollte, Waren unter Einstandspreis anzubieten. Schließlich profitieren Verbraucher von niedrigeren Preisen. Aus diesem Grund untersagt der Gesetzgeber auch nicht jedem Händler den Verkauf unter Einstandspreis, sondern nur solchen, die gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegene Marktmacht haben.
Große Handelsketten sollen ihre überlegenen finanziellen Mittel nicht dazu nutzen, um durch „Dumpingpreise“ den Einkauf bei kleinen lokalen Einzelhändlern oder kleineren Handelsketten völlig unattraktiv zu machen. Denn sind diese kleinen und mittleren Wettbewerber nur deshalb nicht wettbewerbsfähig, weil die größeren Handelsketten zeitweilig Preise unterhalb der eigenen Einstandspreise verlangen – und dadurch Verluste schreiben –, wird dies als unbillige Behinderung betrachtet.
Mittel- bis langfristig sieht der Gesetzgeber trotz kurzfristig niedriger Verbraucherpreise daher die Gefahr, dass kleinere und mittlere Wettbewerber durch Angebote unter Einstandspreis vom Markt gedrängt werden. Dies würde den allgemeinen Wettbewerb und Preisdruck verringern und wäre im Saldo nachteilig für die Verbraucher.
Warum verschärft der Gesetzgeber die bestehende Norm?
Das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis fristet ein Schattendasein im GWB. Hintergrund ist, dass das Bundeskartellamt Anfang im Jahre 2007 auf Beschwerde einiger Hersteller ein Verfahren gegen Rossmann wegen Verstoßes gegen das Verbot mit einem Bußgeld abgeschlossen hat. Das Bundeskartellamt warf Rossmann damals vor, allgemeine Herstellerwerbekostenzuschüsse nicht anteilig auf das Produktportfolio der jeweiligen Hersteller angerechnet zu haben, sondern überproportional auf bestimmten Artikel, um die „Einstandspreise“ künstlich zu verringern. Nach der Entscheidung des Bundeskartellamtes war eine solche Zurechnung nicht möglich. Das OLG Düsseldorf entschied jedoch zugunsten von Rossmann und hob die Bußgeldentscheidung auf.
Die neue Definition des Begriffs der „Einstandspreise“ erhebt die Einschätzung des Bundeskartellamtes quasi zum Gesetz, Allgemeine Vergünstigungen wie die angesprochenen Werbekostenzuschüsse, die Hersteller den Händlern auf ihre gesamte Produktpalette anbieten, dürfen nur noch anteilig auf den Beschaffungspreis angerechnet werden. Die gerade beschriebene Praxis, wonach die Händler allgemeine Werbekostenzuschüsse auf bestimmte Artikel eines Hersteller konzentriert haben und so „künstlich“ zu sehr niedrigen Einstandspreisen kamen, ist daher im Grundsatz nicht mehr zulässig. Allerdings können sich Hersteller und Händler laut Gesetz ausdrücklich darauf einigen, dass der Händler die allgemeinen Vergünstigungen gezielt einsetzen darf.
Was ändert sich für Unternehmen mit „überlegener Marktmacht“?
Aus Sicht der Compliance müssen (Lebensmittel-)Händler zunächst untersuchen, ob sie in den Anwendungsbereich der Norm fallen, d.h. ob sie im Verhältnis zu kleineren und mittleren Wettbewerbern „überlegene Marktmacht“ haben.
Sofern dies der Fall ist, dürfen Lebensmittel zu keinem Zeitpunkt – andere Waren oder gewerbliche Leistungen allenfalls „gelegentlich“ – unter Einstandspreis angeboten werden. Händler, die bislang allgemeine Vergünstigungen wie Werbekostenzuschüsse für ein Produktportfolio überproportional zugunsten bestimmter Artikel eingesetzt haben, müssen diese Praxis nun überprüfen. Insoweit ist insbesondere daran zu denken, mit den Herstellern entsprechende Vereinbarungen darüber zu treffen, dass allgemeine Vergünstigungen gezielt eingesetzt werden dürfen.
Aus Compliance-Sicht sind daher insbesondere die an den Jahresgesprächen beteiligten Mitarbeiter sowohl auf Seiten der Hersteller als auch auf Seiten der Händler entsprechend auf die neue Situation einzustellen. Die Kommunikation zu allgemeinen Vergünstigungen und deren Anrechnung bzw. Verwendung bei einzelnen Artikeln und Angeboten ist an die neue Situation anzupassen. Die Vertreter der jeweiligen Parteien sind so zu instruieren, dass sich aus den Verhandlungen keine ungewünschten geschäftlichen Nachteile ergeben.
Dr. Kim Manuel Künstner berät in allen Bereichen des deutschen und europäischen Kartellrechts sowie der Fusionskontrolle, insbesondere auch zu Kartellschadensersatzverfahren, Vertrags- und Vertriebsgestaltungen sowie der Kommunikation zwischen Herstellern und Handel.
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