Territoriale Lieferbeschränkungen: hohes Bußgeld gegen Lebensmittelhersteller wegen Einschränkungen des Graumarkthandels
Eine aktuelle Bußgeldentscheidung der EU-Kommission gegen das als Süßwarenhersteller bekannte Unternehmen Mondelez wirft ein Schlaglicht auf territoriale Lieferbeschränkungen. Die Entscheidung belegt nicht nur das erhebliche kartellrechtliche Risiko solcher Beschränkungen, sondern könnte auch mittelfristig zu mehr Regulatorik führen. Aus kartellrechtlicher Sicht dürfen gleichwohl die weitreichenden Gestaltungsspielräume der Vertriebssysteme von Herstellern nicht verkannt werden, welche die Vertikal-GVO bietet.
Die Aktuelle Entscheidung gegen Mondelez.
Die EU-Kommission hat das Kartellbußgeldverfahren gegen Mondelez (z. B. Toblerone, Oreo, TUC) wegen illegaler Beschränkung des grenzüberschreitenden Handels im Binnenmarkt mit einer Geldbuße in Höhe von EUR 337,5 Mio. abgeschlossen. Mondelez stimmte einem Settlement zu.
Eingeleitet wurde das Verfahren mit Durchsuchungen der EU-Kommission bei Mondelez im Jahr 2019. Die Wettbewerbsbehörde wirft Mondelez 22 wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen im Sinne des Art. 101 AEUV vor. Als kartellrechtswidrig eingestuft wurden folgende Vereinbarungen:
Vereinbarungen, welche die Kundengruppen bzw. Gebiete beschränkten, in welche Großhändler Mondelez-Produkte weiterverkaufen durften.
In einem Fall wurde mit einem Großhändler vereinbart, dass er für Exporte in andere Mitgliedstaaten höhere Preise verlangen muss als für im Inland verkaufte Produkte.
Die Vorgabe gegenüber zehn Alleinvertriebshändler, die in zugewiesenen Mitgliedstaaten tätig waren, Anfragen von Kunden aus anderen Gebieten nur nach Erlaubnis von Mondelez zu bedienen.
Daneben wirft die EU-Kommission Mondelez den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV aufgrund folgender Handlungen vor:
Lieferverweigerung gegenüber einem Händler in Deutschland, um Exporte nach Österreich, Belgien, Bulgarien und Rumänien zu verhindern, wo das Preisniveau der betroffenen Produkte höher ist.
Einstellung der Vermarktung von Schokoladentafelprodukte in den Niederlanden, um einen Export nach Belgien zu verhindern, wo die betroffenen Produkte teurer verkauft wurden.
Die EU-Kommission stellte insoweit eine marktbeherrschende Stellung von Mondelez in einzelnen Mitgliedstaaten für den Vertrieb von Schokoladentafeln fest.
Besondere Anforderungen bei marktbeherrschender Stellung.
Bereits in der Vergangenheit waren Lebensmittelhersteller wie AB InBev für die Beschränkung des grenzüberschreitenden Handels kartellrechtlich belangt worden, z. B. weil zum Zwecke der Beschränkung der Marktfähigkeit in anderen Mitgliedsstaaten auf Verpackungsangaben in anderen Sprachen bewusst verzichtet wurde. Auch in diesem Fall war Anknüpfungspunkt des Vorwurfs gegenüber AB InBev eine marktbeherrschende Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV auf dem belgischen Biermarkt.
Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung müssen daher im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Handel insbesondere folgende Maßnahmen kritisch beleuchten:
Restriktive Sprachauswahl auf Verpackungen.
Gezielte Design- und Verpackungsvariationen für einzelne Mitgliedstaaten.
Selektive Beschränkung der Liefermengen für (Groß-)Händler in bestimmten Mitgliedstaaten.
Einstellung der Produktion in bzw. Belieferung von Mitgliedstaaten mit bestimmten Produkten.
Verweigerung oder Abbruch von Geschäftsbeziehungen zur Vermeidung von Parallelimporten in andere Mitgliedstaaten.
Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen ist stets zu beachten.
Auch wenn ein Unternehmen keine marktbeherrschende Stellung hat, können Vereinbarungen mit Händlern kartellrechtswidrig im Sinne des Art. 101 AEUV sein, wenn sie den grenzüberschreitenden Handel beeinträchtigen.
Problematisch ist insoweit nicht erst die stumpfe Vereinbarung eines Verbots des grenzüberschreitenden Handels zwischen Lieferanten und Händler. Vielmehr können bereits Vereinbarungen darüber eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung darstellen, dass ein Händler besonders wichtige Produkte des Lieferanten nur dann bekommt, wenn der Händler diese nicht in andere Gebiete bzw. Mitgliedsstaaten verkauft oder dem Händler Boni in Aussicht gestellt werden, wenn er die Produkte nur im „Heimatmarkt“ vertreibt.
Allerdings sind die Ausnahmevorschriften der sog. Vertikal-GVO zu berücksichtigen. Diese lässt es in gewissen Grenzen zu, dass die aktive Belieferung bestimmter Gebiete einzelnen oder bis zu 5 Händlern exklusiv zugewiesen. Der Teufel steckt hier jedoch sehr im Detail, so dass eine vertiefte kartellrechtliche Prüfung des jeweiligen Vertriebssystems unentbehrlich ist, um sich nicht den erheblichen kartellrechtlichen Bußgeld- und Schadensersatzgefahren auszusetzen. Gerade der aktuelle Mondelez-Fall zeigt, dass auch solche Vereinbarungen nicht lückenlos vor passiven Verkäufen schützen, d.h. proaktiven Anfragen aus anderen Mitgliedstaaten.
Territoriale Lieferbeschränkungen stehen unter politischer Beobachtung.
Die Entscheidung fällt in einen Zeitraum aufgeheizter politischer Debatten über die strengere Regulierung von territorialen Lieferbeschränkungen (auf Englisch: territorial supply constraints; kurz: TSCs) innerhalb des Binnenmarktes.
Bereits im März 2018 trat die Geo-Blocking-Verordnung in Kraft, die eine ungerechtfertigte Diskriminierung bei Online-Käufen auf Grundlage der Staatsangehörigkeit bzw. des Wohnortes oder des Ortes der Niederlassung innerhalb des Binnenmarktes ausschließen soll. Sie richtet sich aber in erster Linie an grenzüberschreitende Käufe von Verbrauchern in der EU und betrifft daher tendenziell weniger den Handel mit Lebensmitteln.
Im Jahre 2020 veröffentlichte die EU-Kommission eine Studie über TSCs und kam zu dem Ergebnis, dass diese zu Mehrkosten der EU-Bürger in Höhe von jährlich EUR 14 Mrd. führten.
In einem aktuellen Antrag vom 7. Mai 2024 verlangen Vertreter aus Belgien, Dänemark, Kroatien, Luxemburg, Niederlanden, Slowakei und Tschechien vom Competitiveness Council der EU, sich in der Sitzung vom 24. Mai 2024 mit den territorialen Lieferbeschränkungen zu befassen und ermutigen die EU-Kommission dazu, unfaire Praktiken in Geschäftsbeziehungen („B2B“) zu verbieten, die Geschäftspartner auf Grundlage ihrer Niederlassung diskriminieren. Zudem soll die EU-Kommission untersuchen, inwieweit Hersteller unterschiedliche Sprachen auf Label und Verpackungen verwenden, um dadurch zu rechtfertigen, dass die Produkte nicht in anderen Mitgliedstaaten vermarktet werden können. Insoweit sollen auch die Chancen und Risiken digitaler Label erörtert werden.
Ausblick.
Der politische Verfolgungsdruck gegen territoriale Lieferbeschränkungen nimmt zu. Zum einen lässt dies weitere Kartellrechtsverfahren erwarten, insbesondere wenn Lieferanten eine marktbeherrschende Stellung innehaben. Zum anderen könnte künftig weitere Gesetzgebung erfolgen, die sich beispielsweise an der Geo-Blocking-Verordnung oder der Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP) orientiert.