Aufatmen bei Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes: Die Personalgestellung nach dauerhafter Aufgabenübertragung fällt laut EuGH nicht unter die Leiharbeitsrichtlinie! (EuGH vom 22.06.2023, C-427/21; Vorlagebeschluss des BAG vom 16.06.2021, 6 AZR 390/20)
Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass wir in einem Blogbeitrag die Vorlage-Entscheidung des BAG zur Personalgestellung kommentiert haben (vgl. Blogbeitrag vom 17.06.2021), nun gibt es endlich Klarheit:
Eigentlich sieht das AÜG in § 1 Abs. 3 Nr. 2b bereits seit langem eine Bereichsausnahme für Personalgestellung vor, so dass im Anwendungsbereich bestimmter Tarifverträge erheblich mehr Freiheiten in Bezug auf die Überlassung von Personal bestand, wenn eine Aufgabe dauerhaft auf ein Drittunternehmen verlagert wird.
Die Wirksamkeit dieser Bereichsausnahme war aber streitig und hing seit 2021 beim EuGH. Diese ausstehende Entscheidung schwebte wie ein Damoklesschwert über vielen Arbeitgebern, die im Anwendungsbereich z.B. des TVöD oder des TV-V tätig sind und diese Möglichkeit nutzten.
Doch kein Grund zur Sorge: der EuGH hat die Rechtsunsicherheit aus der Welt geräumt und entschieden, dass Personalgestellung in einer solchen Konstellation nicht unter die Arbeitnehmerüberlassungs-Richtlinie fällt.
Damit heißt es nun für alle, die dies bislang schon nutzen: Aufatmen, es kann alles so bleiben, wie es ist! Für alle anderen Unternehmen, die dieses Mittel aufgrund der damit verbundenen Unsicherheiten bislang noch nicht verwendet haben, steht die Tür nun auf.
Was ist denn Personalgestellung?
Einige Tarifverträge des öffentlichen Dienstes wie der TVöD sehen schon lange die Möglichkeit der „Personalgestellung“, also der „Überlassung“ von Mitarbeitern an andere Unternehmen vor, wenn Aufgaben dauerhaft auf diesen Dritten verlagert werden. Das kann auch ein privates Unternehmen sein. Praktisch wird dies oft relevant, wenn die Aufgabenverlagerung zu einem Betriebs(teil)übergang führt, die betroffenen Mitarbeitenden aber widersprechen.
Die Mitarbeiter bleiben dabei Arbeitnehmer ihres bisherigen Arbeitgebers, das Weisungs- und Direktionsrecht wird aber dauerhaft von dem Drittunternehmen ausgeübt. Dabei kommt es auf eine Zustimmung nicht an – der Arbeitgeber kann die Tätigkeit bei dem Drittunternehmen kraft Direktionsrecht anweisen.
Die tarifvertraglichen Regelungen wurden auch im Rahmen der Reform des AÜG im Jahr 2017 nicht beschränkt: Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG sind dessen Regelungen auf Personalgestellungen überwiegend nicht anwendbar. Insbesondere muss also keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vorliegen und – anders als bei der regulären Arbeitnehmerüberlassung – es gibt keine Begrenzungen in Bezug auf die Höchstüberlassungsdauer.
Wie war der Sachverhalt?
Der Kläger war bei einer Arbeitgeberin tätig, die ein Krankenhaus betreibt. Auf das Arbeitsverhältnis war der TVöD in der für kommunale Arbeitgeber geltenden Fassung anwendbar. Die Arbeitgeberin gliederte sodann einige Aufgaben auf eine „System GmbH“ aus, was zu einem Betriebsteilübergang führte. der auch den Kläger betraf. Der Kläger widersprach jedoch dem Übergang seines Anstellungsverhältnisses.
Die Arbeitgeberin nutzte daraufhin die Möglichkeit der Personalgestellung gem. § 4 Abs. 3 TVöD: das Arbeitsverhältnis besteht zwar mit ihr fort, das fachliche und organisatorische Weisungsrecht wurde aber von ihr auf die System GmbH übertragen. Für diese musste der Kläger fortan seine Arbeitsleistung erbringen. Eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besaß die Arbeitgeberin nicht.
Der Kläger sah in dem Einsatz und den zugrunde liegenden Reglungen einen Verstoß gegen europäisches Recht und meint, dass damit eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorliege.
Was machten die deutschen Gerichte damit?
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Das BAG legte den Fall dem EuGH vor und bat darum, dass dieser prüft, ob die Personalgestellung im Sinne der tarifvertraglichen Regelung unter den Schutzzweck der Leiharbeitsrichtlinie fällt. Sollte das der Fall sein war die nächste Frage, ob die in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG geregelte Bereichsausnahme zulässig ist.
Und was sagt der EuGH?
Der EuGH urteilte, dass die Leiharbeitsrichtlinie Situationen wie diese nicht umfassen würde.
Insbesondere stellt der EuGH darauf ab, dass eine Arbeitnehmerüberlassung gemäß der Richtlinie voraussetzt, dass es zu einer „vorübergehenden Überlassung“ komme. Damit ein Arbeitsverhältnis unter die Richtlinie fällt, muss der Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages und auch bei jeder der Überlassungen die Absicht haben, den Arbeitnehmer nur vorübergehend zur Verfügung zu stellen.
Daran fehlte es hier: schon bei der Einstellung hatte der Arbeitgeber nicht vor, den Mitarbeiter zu überlassen. Auch wollte er den Mitarbeiter nicht nur vorübergehend überlassen, denn schließlich waren dessen Aufgaben dauerhaft ausgelagert worden.
Zudem hält das Gericht noch fest, dass die Ziele der Richtlinie, nämlich die Flexibilität der Unternehmen, die Schaddung neuer Arbeitsplätze und der Zugang der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung in einer Konstellation wie dieser – der dauerhaften Aufgabenübertragung – nicht relevant sein könnten. Auch brauche der Arbeitnehmer den mit der Richtlinie bezweckten Schutz nicht: schließlich besteht das Anstellungsverhältnis des widersprechenden Mitarbeiters mit seinem Arbeitgeber weiterhin – zu den bisherigen Bedingungen.
Was heißt das für die Praxis?
Die bisherige Praxis im Anwendungsbereich der entsprechenden Tarifverträge bei dauerhafter Aufgabenverlagerung kann damit beibehalten werden. Die für das BAG vorgegebene Linie des EuGHs ist klar gezeichnet.
Es handelt sich nicht um eine (unerlaubte) Arbeitnehmerüberlassung, wenn Mitarbeiter insbesondere nach einem Widerspruch gegen einen Betriebs(teil)übergang vom bisherigen Arbeitgeber angewiesen werden, bei dem neuen Aufgabenträger tätig zu werden.
Sollte ein Arbeitgeber eigentlich die Kündigung eines Mitarbeiters aussprechen wollen, der einem Betriebsübergang widersprochen hat, wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch erfordern, dass vorrangig die Möglichkeit der Personalgestellung zur Verhinderung der Kündigung geprüft wird.
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Astrid Krüger berät nationale und internationale Unternehmen umfassend im Bereich des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts und angrenzender Rechtsgebiete und begleitet Restrukturierungen und Transaktionen.