Verdächtige Stille?
Im Bereich Kartellrecht gab es im zurückliegenden Monat vergleichsweise wenige Entscheidungen, was allerdings auch die Ruhe vor dem Sturm sein kann, wie im D’Kart Blog wohl vermutet wird. Vielleicht muss die EU-Kommission nach der Bewältigung der letzten Google Entscheidung auch erst einmal Luft holen. Das Bundeskartellamt verfolgt derweil offenbar Hinweise darauf, dass im Bereich des Zugangs zu Mobilfunknetzen Interessenten behindert werden.
Elektronikhändler geben schlechtes Bild ab: vertikale Preisbindung im Onlinehandel mit Konsumentenelektronik
Die EU-Kommission hat bereits Ende Juli ein Verfahren im Bereich des Onlinevertriebs von Konsumelektronik abgeschlossen.
Die Unternehmen (Asus, Denon & Marantz, Philips und Pioneer) hatten auf Onlinehändler eingewirkt, die beim Verkauf von Produkten wie Küchengeräten, Notebooks und Hi-Fi-Geräten von den Preisvorstellungen der Hersteller nach unten abgewichen waren, um höhere Wiederverkaufspreise zu erhalten. Im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Händlern und Herstellern soll es nach dem Bericht der EU-Kommission auch zur Drohung mit einem Boykott gekommen sein.
Die EU-Kommission verhängte Bußgelder in Höhe von insgesamt EUR 111 Mio. und bleibt damit einer harten Linie gegenüber verbotener vertikaler Preisbindung treu.
Geht auf den letzten Metern die Luft aus? Riesenfusion im Markt für Gase sieht sich offenbar Hindernissen gegenüber
Am 20. August hat die EU-Kommission per Pressemitteilung bekannt gegeben, dass der geplante Zusammenschluss im Markt für Industrie- und Medizingase, für Spezialgase und Helium zwischen Praxair und Linde unter Auflagen freigegeben worden sei.
- Die Unternehmen haben verschiedene Auflagen akzeptiert, die die Kommission in drei Stichpunkten zusammenfasst:
- Die Veräußerung des gesamten Gasgeschäfts von Praxair im EWR‚ einschließlich aller einschlägigen juristischen Einheiten‚ Vermögenswerte und Mitarbeiter an einen geeigneten Käufer.
- Die Übertragung der Anteile von Praxair an SIAD, ein italienisches Joint Venture, das in Mittel- und Osteuropa sowie in Italien tätig ist, an den derzeitigen Joint-Venture-Partner Flow Fin‚ der alleiniger Eigentümer von SIAD werden wird.
- Die Veräußerung zusätzlicher Helium-Bezugsverträge, die über die zur Deckung der Nachfrage im EWR erforderlichen Verträge hinausgehen, an einen oder mehrere geeignete Käufer.
Am 22. August hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung dann gemeldet, dass die Erfüllung der Auflagen möglicherweise an einer Vereinbarung zwischen den Unternehmen scheitern könnte, nach der Grenzen von EUR 3,7 Mrd. Umsatz oder EUR 1,1 Mrd. Gewinn nicht überschritten werden dürfen (Quelle).
Man darf gespannt sein, ob die Unternehmen aus dem Dilemma, einerseits einen festgelegten Katalog an Auflagen erfüllen zu müssen, andererseits der Vereinbarung gerecht zu werden, herauskommen.
Compliance-Reminder/ Und es bewegt sich doch: Loi Sapin II
Mit dem Sapin II-Gesetz hatte Frankreich hinsichtlich der Anforderungen an die Compliance-Anstrengungen von größeren Unternehmen eine Vorreiterrolle eingenommen. Das bereits am 11. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz verpflichtet Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich, mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von mehr als EUR 100 Mio. zur Einführung und Unterhaltung (!) eines vergleichsweise umfangreichen Compliance-Systems. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Grenzen durch eine einzelne juristische Person oder erst die gesamte Gruppe erreicht wird.
Der Katalog vorgeschriebener Bestandteile des Compliance-Programms liest sich wie das „Must-have“ der Compliance: Verhaltenskodex, internes Whistleblowing, fortlaufende Risikoanalyse, Bewertung und Review von Geschäftspartnern, Rechnungsprüfung, Schulung, angemessene Disziplinar- und Sanktionsmaßnahmen und Kontrolle und Entwicklung des Gesamtsystems sind vorgesehen. Besonders wichtig ist, dass Vorkehrungen für internes Whistleblowing bereits ab 50 (!) französischen Arbeitnehmern erforderlich sind.
‚Weshalb eine Erinnerung nach einem Jahr an geltendes Recht?‘
Mit dem Ende der Übergangsfrist Mitte 2017 fanden sich in zahlreichen Publikationen immer noch Hinweise darauf, dass sich die nunmehr unter neuer Bezeichnung tätige Antikorruptionsbehörde AFA (Agence Française Anticorruption) innerhalb eines angemessenen Zeitraums mit dem Hinweis auf eine laufende Umsetzung der erforderlichen Schritte zufrieden geben würde. Einige Berichterstatter erwarteten, dass die Neustrukturierung der Behörde einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Mit der Berichterstattung über das Vorgehen der Behörde gegen das Unternehmen des französischen Geschäftsmanns Vincent Bolloré dürften letzte Zweifel ausgeräumt sein, dass diese nun auch vor großen Aufgaben mit grenzüberschreitender Reichweite nicht zurückschreckt. Es ist deswegen insbesondere französischen Unternehmen, aber auch Unternehmen mit signifikanten Geschäftsaktivitäten in Frankreich, die die Schwellen überschreiten, dringend zu raten, ihre Compliance-Anstrengungen kritisch zu prüfen.